German attitude to the war in Ukraine: it will take me a long time to forgive this (in German)
Nicht nur Russland bereitet Millionen Ukrainern große Schmerzen, schreibt unser Autor, Journalist aus Kyjiw. Deutschland hat das Monster erst so stark gemacht.
Es ist der 24. Februar, 5 Uhr morgens. Am linken Ufer des Dnipro in Kyjiw höre ich im Schlaf die entfernten Schüsse der Luftabwehr. Ich denke mir schlafend: „Das war nur ein böser Traum – schlaf weiter!“ Doch ein paar Sekunden später, höre ich ein schnelles Flugzeug vorbeifliegen. „Nein, Kolja, der Krieg ist ausgebrochen, veröffentliche rasch die Eilmeldung.“
Ich schaltete sofort BBC News ein und sehe Serhij Kyslyzja, den ständigen Vertreter der Ukraine bei den Vereinten Nationen. Er berichtet empört, dass der russische Präsident Wladimir Putin eine weitere Invasion befohlen hat.
Als würde man von einem Dolch erstochen
In diesem Moment veränderte sich mein Leben und das Leben meiner Kollegen aus dem Menschenrechtszentrum ZMINA und der Redaktion, Freunde und Familie rasant. Wir schliefen in Schutzräumen oder in der Badewanne, erstellten Testamente. Was wir von nun an täglich sehen, traumatisiert schwer. Nicht nur psychisch verlangt uns dieser Krieg viel ab. Manche Kollegen von mir mussten Kyjiw verlassen und sich in die Vororte der Hauptstadt zurückziehen. Zu groß ist die körperliche Belastung durch den Krieg und die Kämpfe.
Die Menschenrechtsaktivistin Ludmila Jankina beschloss, in Kyjiw zu bleiben. Sie war selber erst kürzlich an Krebs erkrankt und auf Medikamente angewiesen. Dennoch hilft sie nun einsamen Rentnern oder kranken Menschen. Diese Alten und Kranken leiden besonders unter der schlechten Arznei- und Lebensmittelversorgung. Ludmila hilft ihnen bei der Versorgung und bringt sich dabei selbst in Lebensgefahr.
Manche von meinen Kollegen kommen aus den temporär besetzten Regionen Donbass und von der Krim. Sie sind nach Kyjiw geflohen. Nun durchleiden sie Krieg und Flucht zum zweiten Mal.
Ich selber habe seit Beginn des Krieges kein freies Wochenende oder freie Abende. Wir arbeiten Nonstop, trotz physischer Strapazen. Jeden Tag werde ich von der Luftabwehr oder von den Raketen aufgeweckt, die 100 bis 200 Meter über mir vorbeifliegen. Es ist unmöglich tief einzuschlafen. Man spürt und hört jedes Geräusch im Haus. Die Bilder von den Massengräbern der Zivilisten in Mariupol, Bucha oder den täglichen Kriegsverbrechen traumatisieren zusätzlich in einer nicht vorstellbaren Weise.
Seit der Besatzung der Krim habe ich die Katastrophe geahnt
Ich bekomme Dutzende Nachrichten von Deutschen mit Unterkunftsangeboten. Doch dafür ist es zu spät. Es ist ein Schlag ins Wasser.